Die ursprünglich auf die Heilung ausgerichtete TCM hat sich über einen langen Zeitraum von ca. 2000 Jahren bewährt. Wie die geschichtliche Entwicklung zeigt, war zuerst die konstruktive, heilende Komponente der TCM vorhanden. Erst später wurde dieses Wissen auch in einen destruktiven Zusammenhang gebracht, um in den Kampfkünsten seinem Gegner Schaden zuzufügen.

Unter modernen westlichen wissenschaftlichen Gesichtspunkten bestehen bei diesem Prinzip der TCM für die Erklärung der Wirkungstreffer in den Kampfkünsten jedoch Bedenken. Weder die Lebensenergie Qi (Chi, Ki), die laut TCM durch die Meridiane im Körper fließt und mit entsprechenden Attacken (Schläge, Tritte etc.) negativ beeinflusst werden kann, noch die Meridiane selbst sind naturwissenschaftlich physisch nachweisbar.

Im Jahr 1961 veröffentlichte der nordkoreanische Mediziner Kim Bong-han erstmalig das von ihm entdeckte Kyungrak-System (später Bonghan-System und heute Primo-Gefäßsystem genannt), das weder dem Blutgefäßsystem, noch dem lymphatischen System zugeordnet werden kann. Er war der Ansicht, hiermit die Meridiane der TCM physisch entdeckt zu haben. Mit der Umstrukturierung des nordkoreanischen Gesundheitssystems im Jahre 1966 verschwanden jedoch seine Forschungserbnisse und das Interesse in seinen Arbeiten. Erst ab dem Jahr 2000 wurden seine Forschungen in der westlichen Gesellschaft wieder aufgenommen und weiter verfolgt. Mittlerweile ist das Primo-Gefäßsystem in der westlichen Medizin anerkannt. Ein Bezug zu den Meridianen der TCM konnte jedoch nicht festgestellt bzw. bestätigt werden.[1].

Die Prinzipien der TCM beruhen auf einem Modell, das aus Beobachtungen heraus entstanden ist. Einige Vitalpunkte hingegen decken sich mit modernen medizinischen Ansichten. So liegen diese Vitalpunkte bzw. deren Meridiane teilweise auf Nervenbahnen oder in den sogenannten Head’schen Zonen und den MacKenzie-Zonen sowie an sonstigen anatomisch hervorzuhebenden Stellen.

Die TCM beschreibt demnach die Prinzipien und Wirkungen von Treffern in den Kampfkünsten nur zum Teil und nach moderner wissenschaftlicher Betrachtung nur rudimentär. Das Modell stößt an seine Grenzen, auch weil vieles in der TCM auf verschiedenen Wegen erklärbar gemacht wird. Alles kann mit allem irgendwie begründet werden, wodurch eine klare, eindeutige Definition, eine Beschreibung und Reproduzierbarkeit in den Kampfkünsten im Grunde fehlt.

So werden laut TCM bestimmte Reaktionen hervorgerufen, bspw. ein K.O., wenn man Vitalpunkte im Zerstörungszyklus anschlägt. Aber genauso kann ein K.O. hervorgerufen werden, wenn man im Erschaffungs- oder Stärkungszyklus die Vitalpunkte trifft. Bestimmte Kombinationen im Zerstörungszyklus bewirken kein K.O., andere hingegen schon. I. d. R. wird ein K.O. beim Anschlagen der Kopf- und Halspunkte ausgelöst, auch einzeln und ohne weitere Kombinationen. Eine eindeutige Erklärung nur über die TCM ist nicht valide.

Erklärbar sind diese Phänomene jedoch über die Neurologie und die Neurophysiologie. So wird schnell verständlich, dass die Vitalpunkte an Kopf und Hals i. d. R. auf den von außen gut zugänglichen Gehirnnerven liegen, die einen direkten Einfluss auf den Parasympathikus haben, der ein K.O. auslösen kann (vasovagale Synkope). Auch ein Körpertreffer kann zum K.O. führen, wenn die Schmerzweiterleitung über C-Fasern (Nervenfasern) erfolgt, die ebenfalls den Parasympathikus aktivieren.

In diesem Kurs werden die Grundlagen des Nervensystems erläutert. Es wird beschrieben, was ein Nerv ist, wo die Nerven im Körper (somatisches Nervensystem) anatomisch verlaufen, welche Rolle das autonome Nervensystem übernimmt, welchen Einfluß Schmerzen und Reflexe aufweisen und letztendlich auch einen K.O. auslösen können.

[1] Jun-Ling Liu, Xiang-Hong Jing, Hong Shi, Shu-Ping Chen, Wei He, Wan-Zhu Bai, Bing Zhu: Historical Review about Research on “Bonghan System” in China. In: Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine. Band 2013:636081, 4. Juni 2013, S. 1–7, doi:10.1155/2013/636081, PMID 23861708.